Neujahrsempfang – Der andere hat möglicherweise Recht

Ohne aktuelle politische Auseinandersetzungen verlief der diesjährige Neujahrsempfang der Rödermarker Sozialdemokraten. „Demokratie ist nicht nur Staatsform sondern Lebenshaltung.“ Diese Aussage des früheren hessischen Ministerpräsidenten Georg-August Zinn hatte sich der Gastredner, der stellvertretende Vorsitzende der SPD im Bund und Landesvorsitzende in Hessen, Thorsten Schäfer-Gümbel, zur Grundlage seiner nachdenklichen und eindrucksvollen Rede gemacht.

Zu Beginn der Veranstaltung konnte der Ortsvereinsvorsitzende Hidir Karademir im vollbesetzten Rothaha Saal im Bücherturm Ober-Roden eine illustre Runde mit Bürgermeister Roland Kern an der Spitze, sowie den Kandidaten für die nächste Bürgermeisterwahl, zahlreichen Vereinsvertretern und dem Bundestagsabgeordneten Dr. Zimmermann, begrüßen.

Karademir bedauerte die schlechten Wahlergebnisse der SPD in der letzten Zeit, vor allem auch das Abschneiden bei der Landtagswahl in Hessen. Er hoffe jedoch, dass die Leistungen der SPD im Bund, die durch ungünstige Umstände noch nicht im Bewusstsein der Bevölkerung zum Tragen kämen, in Zukunft stärkere Beachtung fänden. Als Beispiele hierfür nannte er die Durchsetzung Mindestlohns, die Mütterrente, Rente mit 63, Erziehungsgeld Plus die neue gesetzliche Förderung der Bildung auch den Bund, das neue Kita-Gesetz, die Stärkung der Familien gerade auch in den unteren Einkommensgruppen, die Förderung der Kommunen und vieles mehr.

Die SPD Kandidatin der Region für die Europawahl, Anna Kristina Tanev, bekannte sich in einem Grußwort zur Europäischen Union als friedensstiftendes Band der europäischen Länder, die auch einzig in einer globalisierten Welt soziale Standards sichern könne.

Thorsten Schäfer-Gümbel bezeichnete in seiner Rede den Kompromiss als das positive Merkmal einer demokratischen Gesellschaft, die alle gesellschaftlichen Gruppen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Leider habe dieses Verständnis in der letzten Zeit verstärkt unter der Auffassung gelitten, eine Gesellschaft sei nicht demokratisch, wenn man sich nicht mit seiner Auffassung durchsetzen könne. Man müsse jedoch feststellen, so Schäfer-Gümbel, dass es in unserer Gesellschaft eine Verunsicherung in grundsätzlichen Fragen gebe.

Als solche grundsätzlichen Bereiche mit oft fehlendem Grundkonsens nannte er die Globalisierung, die ökologische Frage, die gesellschaftliche Spaltung sowie die Digitalisierung. Bei der Globalisierung beobachte er den Wunsch nach Verweigerung der Realitäten, einer Verweigerung der aktiven Gestaltung des Wandels. Unsere Werte, unsere Lebensgestaltung sei in einer Welt der autoritären Mächte wie China und Russland und einer sich von unseren Vorstellungen eines Miteinanders abwendenden USA nur in einem geeinten Europa zu bewahren. Vereinzelte europäische Nationalstaaten seien für eine solche Aufgabe viel zu schwach. Im Übrigen profitiere gerade auch die Bundesrepublik bei objektiver Betrachtung von einem gemeinsamen Europa.

Schäfer-Gümbel beklagte die historisch falsche Aufgabenteilung zwischen SPD und Grünen in der Frage von sozialem Ausgleich und Ökologie. Diese Trennung habe zu einer Spaltung der Akzeptanz beider Bereiche und damit einer Schwächung der beiden wichtigsten Politikfelder geführt.

Die Digitalisierung werde zu oft unter der Fragestellung der Gefährdung von Arbeitsplätzen und der gesellschaftlichen Spaltung geführt. Die SPD sei auch in der Geschichte schon keine Partei der Maschinenstürmer gewesen, sondern sie habe ihre Erfolge für die Menschen bei der Gestaltung des Wandels erreicht. Bei diesem bevorstehenden Wandel müssten die Jobwechsel ohne Gefährdung des sozialen Status gesichert werden und bei Älteren die Lebensleistung anerkannt werden. 

Als das Bindeglied für diese Aufgabenstellungen im Deutschland des Jahres 2019 sieht er die Förderung des Bewusstseins der kulturellen Identität. Grundlage hierfür seien unverrückbar die Paragraphen 1-20 des Grundgesetzes. Diese erreichten jedoch nur den Kopf, aber nicht das Herz und die Seele der Menschen. Um letzteres müssten sich alle kümmern, in der Familie, am Arbeitsplatz, in den Vereinen und in allen Institutionen.

Die Frage, ob es Gruppen in der Gesellschaft gäbe, die nicht zu Deutschland gehörten, sei müßig. In Frankfurt hätten über 70 Prozent der unter 14-jährigen einen Migrationshintergrund. Die allermeisten unserer Mitbürger mit Migrationshintergrund sähen unsere überkommene Gesellschaftsordnung als positiv. Menschen suchten Orientierung, hierzu müsse Raum zur Diskussion von Antworten gefunden werden. Dieser Raum sei nicht vorhanden, er müsse geschaffen werden.

Abschließend bedankte sich der Vorsitzende Hidir Karademir bei den vielen Helfern, die diese eindrucksvolle Veranstaltung ermöglichten. Besonders würdigte er das junge Klarinettenduo des Musikvereins 08 Ober-Roden, Leonie Hügemann und Sarah Ernet, die den Neujahrsempfang mit musikalischem Können umrahmten.