Geschichte der SPD in Urberach von 1896 bis 1986
Inhalt
Die Gründung des Ortsvereins Urberach der SPD
Der Anteil der in Industrie und Gewerbe Beschäftigten betrug 1861 in Urberach 42,2%, was erklärt, dass es schon 1868 einen Arbeiterverein gegeben haben soll. Für die Parteiorganisation gibt es bisher für die Zeit vor den Sozialistengesetzen keine Nachweise. Anders als für Ober Roden, für die schon 1871 ein Mitglied dem Wahlkomitee der Sozialistischen Arbeiterpartei zur Reichstagswahl angehörte, fehlen für Urberach solche Zeugnisse. Doch ist bekannt, dass in den 80er Jahren Wilhelm Liebknecht auch in Urberach auf Versammlungen sprach und es hier Sozialdemokraten gab. Zur Reichstagswahl 1890 hielt Galm (Seligenstadt) in Urberach eine Wählerversammlung ab. Nach 1890 bestand schon ein Wahlverein, der Delegierte zu den Landeskonferenzen in Friedberg 1892 und in Offenbach 1894 entsandte. Auch gibt es Hinweise auf Veranstaltungen dieses Wahlvereins in 1894. Urberach war zu dieser Zeit bis auf wenige jüdische Familien eine rein katholische Gemeinde. Das hinderte die Urberacher aber nicht, schon früh Sozialdemokraten zu wählen.
Sie wählten bei Reichstagswahlen seit 1877 im ersten Wahlgang zwar stets den katholischen Kandidaten, im zweiten Wahlgang konnte aber Wilhelm Liebknecht den größeren Teil der Stimmen für sich verbuchen. Auch Carl Ulrich, dem Nachfolger Liebknechts als Wahlkreis-Kandidat, gelang dies ab 1890. Ludwig Rink berichtete in einem Rückblick, dass sogar der Geistliche am Ort von der Kanzel zur Wahl von Liebknecht aufgerufen hätte. Urberach, 1874 noch landwirtschaftlich orientiert, mit einem starken Anteil von Handwerksberufen, insbesondere Häfner, wandelte sich in den folgenden zwanzig Jahren zu einer Gemeinde, in der jeder 5. Wahlberechtigte seinen Unterhalt als Fabrikarbeiter verdiente. Die Fabrikarbeiter brachten von ihren Arbeitsplätzen und aus den Arbeiter-Bildungsvereinen die Gedanken an eine sozialistische Veränderung ihrer Verhältnisse mit auf das Dorf. Am 6. September 1896 sprach im Gasthaus „Zur Sonne“ der spätere bayrische Landtags- und Reichstags-Abgeordnete, der Schuhmacher Josef Simon aus Offenbach. Das Offenbacher Abendblatt berichtet: „… Er forderte die Anwesenden auf, auch hier einen Arbeiter-Verein zu gründen, um ein Glied in der Kette der Arbeiterbewegung zu bilden … Eine in diesem Sinne vorgeschlagene Resolution wurde einstimmig angenommen … Nach Schluß der Versammlung ließen sich sofort circa 50 Genossen in die Liste zur Gründung des Vereins einzeichnen. Derselbe will nächsten Sonntag seine erste Versammlung abhalten und die Vorstandswahl vornehmen. Möge er blühen und gedeihen und unsere gerechte Sache in jeder Beziehung in unserem Orte vertreten. M. W.“ Von den bekannten Gründungs-Mitgliedern waren 20 Fabrikarbeiter, zwei Handwerker und einer Landwirt. Erster Vorsitzender wurde Karl Georg Rink, treibende Kraft der weiteren Entwicklung des Vereins und später Sekretär der Kreisorganisation. Die Gründung des Ortsvereins führte zu Streit in der Einwohnerschaft. So wurden Wirte, die das Offenbacher Abendblatt an Kirchweih (damals im Oktober) auslegten, bedroht.
1898-1908: Die ersten Wahlen für den Ortsverein Urberach
Das Jahr 1898 brachte für den Ortsverein die erste Bewährungsprobe. Im Juni 1898 wurde ein neuer Reichstag gewählt. Carl Ulrich konnte im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit im Wahlkreis erringen und zog wieder als Abgeordneter in den Reichstag ein. Sechs Wochen später wählten die Urberacher erneut, diesmal vier neue Gemeinderäte. Die Sozialdemokraten hatten insgesamt vier Kandidaten aufgestellt. Von den Sozialdemokraten wurde einer gewählt: Michael Deller, Fabrikarbeiter, mit 140 Stimmen. Während in früheren Jahren die Wahlbeteiligung 40 – 60 % betrug, wählten diesmal 85,5 % der Wahlberechtigten. Das Auftreten der Sozialdemokraten hatte zu einer enormen Mobilisierung geführt und zu einer Polarisierung zwischen Sozialdemokraten und Zentrum, was sich bis 1914 noch verstärkte. Für die Sozialdemokraten war die Wahl ein großer Erfolg, zumal viele ihrer Wähler, die auswärts arbeiteten, zur Wahl unter Lohneinbußen nach Urberach kommen mussten. Daher setzten sich die Sozialdemokraten immer wieder für eine Änderung des (Werktag)-Wahltermins ein, was erst 1919 generell gelang. Das wichtigste Agitationsmittel neben dem Offenbacher Abendblatt waren zu dieser Zeit öffentliche Versammlungen. Eine Versammlung mit weniger als hundert Besuchern galt als schlecht besucht. Da durch schlechte Verkehrsbedingungen auswärtige Referenten nur selten auf die Dörfer kamen, war die Partei auf einheimische Referenten angewiesen.
Die SPD auf dem Weg zur Mehrheit
Ein Großereignis mit mehr als 4000 Besuchern war die Fahnenweihe des Ortsvereins 1901. Ludwig Rink schreibt dazu: „Nach langem Bemühen gab der Gastwirt Emil Mickler seinen gepachteten Pfarracker links der Wilhelm-Leuschner-Straße der Partei als Festplatz. Das brachte die Kirche und die Zentrumspartei in große Aufregung. Man versuchte alles, um dies zu verhindern, sogar das Gericht sollte einschreiten. Es half alles nichts. Der Pfarracker wurde Festplatz der Sozialdemokratischen Partei in Urberach“. Festredner war ein Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der Reichstags-Abgeordnete Singer aus Berlin. Die Gemeinderatswahl 1901 wurde von der SPD wegen der numerierten Stimmzettel erfolgreich angefochten. Die Wiederholungs-Wahl am 12. Dezember brachte aber nicht den gewünschten Erfolg. Die Sozialdemokraten konnten ihren Stimmenanteil verbessern, doch alle drei Zentrums-Kandidaten lagen knapp vor ihnen. Somit blieb Michael Deller der einzige sozialdemokratische Gemeinderat. Neben Fragen wie Verpachtung des Gemeindelands, Fasel-Tierhaltung, Beschaffung einer Waage usw. waren von den Gemeinderäten zu jener Zeit auch Stellungnahmen gefordert zu Projekten, die auch heute wieder die Parlamentarier beschäftigen. So forderte eine Volksversammlung im Februar 1898 den Weiterbau der Eisenbahnstrecke Offenbach – Dietzenbach bis Messel über Urberach. Auch Fragen der Wasserversorgung spielten eine große Rolle; Urberach hatte nur drei öffentliche Brunnen. Die größten Auseinandersetzungen fanden aber statt, wenn es um die Kirchenrenovierung oder andere Fragen der Kirchenbaulast ging. Pfarrer Johannis mischte sich, ebenso wie sein Kollege Dockendorf in Ober Roden, in die Tagespolitik ein. Beide benutzten ihr Amt dazu, die Sozialdemokraten von der Kanzel anzugreifen, sie zu diffamieren, ihnen mit der Verweigerung der Einsegnung oder der Absolution zu drohen. In einem solchen Klima kam es des öfteren zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, deren unrühmlicher Höhepunkt die Neujahrsnacht 1901 war, als das Gasthaus Rink von einer Gruppe Randalierer zerstört wurde. Vor dem Darmstädter Landgericht wurden mehrere Angeklagte zu Gefängnisstrafen verurteilt. Aufgrund dieses Vorfalls bekam Urberach nun eine Polizeidienerstelle. Die konnte aber nicht verhindern, daß es auch weiterhin zu Auseinandersetzungen kam. Kurz danach fand die Wahl des Bürgermeisters und des Beigeordneten statt. Die Sozialdemokraten stellten, wie beschlossen, keinen eigenen Kandidaten auf und empfahlen Nichtbeteiligung an der Wahl. So gingen insgesamt von 327 Wahlberechtigten nur 230 zur Urne. Auf den bisherigen Bürgermeister Lötz entfielen 201 Stimmen. Vier Wochen später, am 13. Februar 1902, zur Beigeordnetenwahl, erschienen sogar nur 154 Ortsbürger. Alle Stimmen entfielen auf den bisherigen Amtsinhaber Michael Valentin Gensert. Die Urberacher Genossen waren im Wahlkreis sehr rührig. So war Urberach der Sitz der Agitations-Kommission für den vorderen Odenwald. Das hieß, dass die Urberacher Flugblätter und anderes Werbematerial per Fahrrad in den vorderen Odenwald schafften. Einzelne Genossen wurden auch in übergeordnete Gremien gewählt. Im Vorstand des 15. Landtags-Wahlbezirks waren zwei Urberacher vertreten (Rink und Schwarzkopf). Karl Rink war auch Delegierter beim Parteitag in München. Neben ungünstigen Wahlterminen konnten noch andere Maßnahmen verhindern, dass sozialdemokratische Wähler zur Wahl gingen. Eine andere Methode war die Heraufsetzung des Bürgerrechts-Gelds, das zahlen musste, wer Ortsbürger und damit Kommunalwähler werden wollte. So hob die Mehrheit des Ortsparlaments das Bürgerrechts-Geld im August 1902 auf 300 Mark an. Begründung: Abwehr des Zuzugs von Bettelzeug. 300 Mark waren etwa der Jahresverdienst eines Hilfsarbeiters. Eine Frage, die die Bürgerschaft Urberachs im Jahre 1902 ebenfalls bewegte, war der Standort des neuen Bahnhofs. Auf einer Bürgerversammlung sprach der Landtags-Abgeordnete Cramer zu dieser Frage. Die Sozialdemokraten sammelten 700 Unterschriften für den Bahnhofs-Standort an der Dietzenbacher Straße. Dies hätte aufgrund der kürzeren Wegstrecke nach Frankfurt Fahrgeld eingespart. Außerdem wäre die Anbindung an Dietzenbach leichter gewesen. Der Gemeinderat sprach sich aber mit 5:4 Stimmen für den heutigen Standort aus.
Das vereinigte Bürgertum gegen die Sozialdemokraten
Das Jahr 1903 brachte den Sozialdemokraten im Wahlkreis bei der Wahl zum Reichstag im Juni eine unerwartete Niederlage. Während im Reich die Partei ihren Stimmanteil steigern konnte, büßte Carl Ulrich sein Mandat ein. Er verlor in der Stichwahl gegen den National-Liberalen Becker. Entscheidend für diese Niederlage war die Einigung des gesamten bürgerlichen Lagers, einschließlich des Zentrums, gegen die Sozialdemokraten. Die Wahlkampf-Taktik der bürgerlichen Parteien veranschaulicht ein Wahlaufruf des Zentrums: „Auf zur Stichwahl und zwar für den Kandidaten der vereinigten bürgerlichen Parteien, Herrn Dr. Becker. Dazu drängt uns die Liebe zu unserem deutschen Vaterland, das Verlangen nach ruhigen und friedlichen Verhältnissen in unserem Kreise, die Treue zu unserer Religion, die zur Zeit in der Sozialdemokratie den grimmigsten und gefährlichsten Feind erblicken muß … Nieder mit der Sozialdemokratie und ihrem unerträglichen Terrorismus.“
Der erste Sieg bei Kommunalwahlen
Den ersten großen Sieg bei Kommunalwahlen erreichten die Sozialdemokraten am 24. September 1904. Vier neue Gemeinderäte mussten gewählt werden. Drei Kandidaten der Sozialdemokraten schafften den Sprung in den Gemeinderat: Valentin Braun II, Karl Georg Rink und Martin Schwab II. Die Wahl wurde angefochten, sodass um den vierten Platz eine Stichwahl stattfinden musste. Am 23. Februar 1905 siegte der Sozialdemokrat Martin Schwab über den Kandidaten des Zentrums Michael Lang II. Damit hatten die Sozialdemokraten jetzt vier der neun Gemeinderatssitze inne.
Carl Ulrich gewinnt Wahlkreis zurück
Das Jahr 1907 brachte eine vorzeitige Neuwahl des Reichstags. Das Zentrum hatte sich aus dem Block mit Konservativen und National-Liberalen gelöst.In der Debatte um die deutsche Kolonialpolitik und den Einsatz deutscher Schutztruppen in Deutsch-Südwest-Afrika hatte Kanzler Bülow keine Mehrheit mehr. So schien ihm eine Reichstags-Auflösung die bessere Lösung. Die Sozialdemokraten gingen hoffnungsfreudig in den Wahlkampf. Sie glaubten, dass nach ihrer Propaganda gegen das Verhalten der Schutztruppen ihre Parole „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen“ populär sei. Sie übersahen die nationalistische Begeisterung. In der sogenannten Hottentotten-Wahl verloren sie von 81 Abgeordnetenmandaten 38. Wieder in den Reichstag zog allerdings Carl Ulrich ein. In Urberach erreichten der Kandidat des Zentrums und Ulrich die gleiche Stimmenzahl. In der Stichwahl blieben die meisten Zentrumswähler zuhause. Sie wollten weder den Sozialdemokraten unterstützen, noch sich für die Kolonialpolitik der Regierung entscheiden, gegen die ihre Partei ebenfalls stand.
Alle Kandidaten der Sozialdemokratie gewählt
Die Gemeinderatswahlen 1907 bestätigten eindruckvoll den Sieg von 1904. Die drei Sozialdemokraten schlugen ihre Gegner vom Zentrum knapp. Bei einer Wahlbeteiligung von 97% wurde Michael Frank V. neu in den Gemeinderat gewählt. Die beiden anderen, Martin Schwab und Michael Deller, waren schon Mitglieder des Gemeinderats. Eine nun mögliche Mehrheit im Gemeinderat wurde aber durch den Übertritt von Michael Frank zum Zentrum verhindert. Es blieb beim 5:4 für das Zentrum.
Der Vorstand im Jahre 1908
Am 15. Mai 1908 wurde im Reichstag ein neues Vereinsgesetz verabschiedet. Jetzt durften auch Frauen zu politischen Vereinen und Versammlungen zugelassen werden. Jugendlichen bis 18 Jahren war dies verwehrt. Insofern verschlechterte das neue Gesetz die Organisations-Möglichkeiten. Zudem mussten sich alle Vereine mit Angabe ihres Vorstands und der Satzung beim Großherzoglichen Kreisamt anmelden. Den Sozialdemokratischen Verein Urberach vertraten damals: 1. Vorsitzender Aloys Ludwig Rink, 2. Vorsitzender Michael Kurt Lötz, Kassierer Michael Faust, Schriftführer Adam Lang, Beisitzer Adam Wolfenstädter, Valentin Braun, Valentin Hain. Rink, wirklich hieß er Aloys Georg, wurde aber von allen Ludwig genannt, wurde später einer der führenden Sozialdemokraten im Kreis Dieburg. Er war der Bruder des ersten Vorsitzenden der Sozialdemokraten in Urberach, Karl Georg Rink. Adam Lang wurde der führende Sozialdemokrat nach dem ersten Weltkrieg in Urberach und Mitglied des Hessischen Landtags. Adam Wolfenstädter war der erste Vorsitzende nach dem 1. Weltkrieg und Kreistagsmitglied. Die Maifeier hatte jetzt Tradition. Morgens traf man sich nach einem Spaziergang mit den Genossen aus Ober-Roden und Eppertshausen auf der Thomashütte. Dort wurde ein Vortrag gehalten, dem manchmal über 1000 Zuhörer lauschten. Nachmittags fanden dann in jeder Ortschaft Umzüge statt, an deren Ende jeweils ein auswärtiger Genosse die Mairede hielt. An dem Umzug in Urberach nahmen in der Regel mehrere hundert Personen teil. Im August, kurz vor einer Kreiskonferenz, diskutierte der Ortsverein die Budgetfrage: „Sollen Sozialdemokraten in den Parlamenten den Haushalten zustimmen oder sie prinzipiell ablehnen?“ Entzündet hatte sich die Diskussion an der Haltung der badischen Partei, die dem dortigen Haushalt zugestimmt hatte. Ludwig Rink und Adam Lang erläuterten den „Klassenkampf-Charakter der Partei“, der eine Zustimmung zu einem Haushalt verbiete. Heinrich Wolfenstädter setzte als Delegierter der Landeskonferenz dort mit anderen die Meinung des Ortsvereins durch: „… daß dem heutigen kapitalistischen Klassenstaate alle Mittel zu verweigern sind“.
1910-1914: Die Vorkriegszeit
„Rote“ gegen „Schwarze“
Mit der Bürgermeisterwahl am 27.8.1910 begann eine Periode, in der sich die Sozialdemokraten in Urberach als stärkste politische Kraft endgültig durchsetzten. Innerhalb von zehn Monaten waren insgesamt sechs Wahlkämpfe zu bestreiten, die die Gemüter im Ort aufs höchste reizten. Entsprechend ihren Beschlüssen stellten die Sozialdemokraten keinen eigenen Bürgermeister-Kandidaten auf, beschlossen jedoch, einen bürgerlichen, „linksliberalen“ Kandidaten, Georg Neidhardt, zu unterstützen. Diese Haltung führte in den Parteiblättern zu einer heftigen Auseinandersetzung, in der Karl Rink die Haltung der Urberacher damit begründet, daß die Urberacher Sozialdemokraten auf jeden Fall den bisherigen Bürgermeister abwählen wollten. Bei der Wahl eines Sozialdemokraten (und der folgenden Nichtbestätigung durch die Regierung) wäre der alte Bürgermeister, Valentin Jakob Lötz, laut Ludwig Rink „ein Mann mit wenig Wissen und Klugheit“, weitere drei Jahre im Amt geblieben, und das galt es zu verhindern. Zur Wahl waren acht Gendarmen angereist. Dies empfanden viele Sozialdemokraten als Provokation. Von 416 Wahlberechtigten gingen am 24. August 406 zur Wahl. Lötz erhielt 194 Stimmen, Neidhardt 211. Die Wahlanfechtung des Zentrums wies der Kreisausschuss zurück, doch der Rekurs beim Provinzialausschuss hatte Erfolg. Die Wahl wurde aufgehoben wegen nicht erlaubter Beeinflussung der Wähler (Neidhardt hatte im Wahlkampf Zigarren verschenkt). Sie wurde am 29. Juli 1911 wiederholt. Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Wahl dauerte fast ein Jahr. Das nahm Bürgermeister Lötz zum Anlass, seinem gewählten Nachfolger nicht Platz zu machen. Zudem beschloss die noch bestehende Zentrums-Mehrheit im Gemeinderat, auch die anstehende Gemeinderatswahl zu verschieben. Die Sozialdemokraten warfen dem Zentrum vor, unter Vorwand an der Macht bleiben zu wollen. Die Sozialdemokraten im Gemeinderat, Martin Schwab und Valentin Braun (Karl Rink war verzogen, Michael Deller gestorben und Michael Frank V. zum Zentrum übergewechselt) erklärten daher am 3. Februar 1911, an keiner Sitzung mehr teilnehmen zu wollen, der Bürgermeister Lötz vorsitze. Die nunmehr drei von neun Gemeinderäten seien damit nicht beschlußfähig. Schwab prozessierte daher und verlor, mußte gar 25 Mark Strafe zahlen. Zwei Wochen später wurden beide Sozialdemokraten vom Kreisamt bestraft, weil sie nicht an den Sitzungen teilnahmen. Der Beigeordnete Gensert verklagte Schwab gar wegen Beleidigung. Dieser habe öffentlich die verspätete Übersendung von Protokollen kritisiert. Eine Bürgerversammlung mit mehr als 200 Teilnehmern verlangte am 22. Februar 1911 Wahlen zum Gemeinderat. Dem öffentlichen Druck musste der Bürgermeister schließlich nachgeben. Für den 11.3.1911 ließ er Gemeinderats-Wahlen ansetzen, nach fünf Beschwerden ans Kreisamt und zweien im Ministerium. Die Wahlen endeten mit einem Triumph der Sozialdemokraten. Alle fünf Gewählten waren Sozialdemokraten. Damit nahmen von 9 Gemeinderatssitzen 7 die Sozialdemokraten ein. Einen Monat später unterlag auch Michael Gensert mit 180 Stimmen bei der Wahl zum Beigeordneten. Der von den Sozialdemokraten unterstützte Valentin Reiß erhielt 209 Stimmen, zwei Stimmen waren ungültig. Auch diese Wahl wurde (allerdings erfolglos) angefochten. Die Kämpfe der politischen Parteien am Ort waren nicht nur ideologischer Natur. Wegen der Gemeinderats-Wahlen hielt sich im März 1911 gar ein Untersuchungs-Richter in Urberach auf. Den Höhepunkt der Auseinandersetzungen brachte dann die Wahl des Bürgermeisters am 29. Juli 1911. Eine Woche vorher war noch nicht bekannt, ob der alte Bürgermeister Lötz erneut kandidieren würde. Fast hämisch vermerkt das Offenbacher Abendblatt am 27. 7., dass der neue Kandidat des Zentrums, Adam Wagner, nur wegen seiner großen Verwandtschaft aufgestellt worden sei. Bei wiederum hoher Wahlbeteiligung, 403 Wähler bei 408 Wahlberechtigten, siegte erneut Georg Neidhardt mit 221 zu 179 Stimmen. Die Partei ging aber sehr bald auf Distanz zu dem von ihr unterstützten Kandidaten. Sie erklärte schon einen Monat später, wohl auch unter dem Eindruck, den ihr Verhalten in der Partei im Wahlkreis erweckt hatte, dass sie ab sofort mit Neidhardt nichts mehr zu schaffen habe und auf Parteilinie zurückschwenke. Nach den in Urberach so überaus erfolgreichen Kommunalwahlen gingen die Sozialdemokraten auch sofort daran, ihr Kommunalwahl-Programm zu verwirklichen. Einer der ersten Punkte war die Vergabe öffentlicher Aufträge durch Ausschreibung, wobei Unternehmer, die Hungerlöhne zahlten, nicht berücksichtigt werden sollten. Organisatorisch gestärkt ging die Partei in den Reichstagswahlkampf 1912. Im Wahlkreis Offenbach – Dieburg erreichte sie ihr Wahlziel. Am 12.1.1912 siegte Carl Ulrich im ersten Wahlgang mit 54,8 % der Stimmen. Im Reich konnten die Sozialdemokraten ihren Anteil von 28,9 % 1907 auf 35,3 % steigern, ihre Mandate im Deutschen Reichstag von 43 auf 110. Insgesamt hatten 4,25 Millionen Wähler den Sozialdemokraten ihre Stimme gegeben. Sie war damit die mit Abstand stärkste Partei geworden.
Selbsthilfe zur Linderung der Not
Neben der politischen und gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiter wurde eine Reihe von Selbsthilfeorganisationen zur Sicherstellung elementarer Bedürfnisse gegründet. Die bekannteste ist die Konsum-Genossenschaft. Im Jahre 1912 wurde in Urberach der erste Laden, in dem heutigen Haus Konrad-Adenauer-Straße 11, eingerichtet. Erster Filialleiter wurde Adam Lang II. Adam Lang war auch lange Jahre Vorsitzender der Kohlenkasse Urberach, die den Winterbrand preisgünstig zu beschaffen hatte. Im Konsum wurde man als Mitglied zweifach am Gewinn beteiligt. Einmal wurde auf den Geschäftsanteil ein Zins gezahlt, den die Konsumgenossen jährlich festlegten. Zum zweiten erhielten Mitglieder auf die Waren noch einen Rabatt, der ebenfalls von der Genossenschafts-Versammlung festgesetzt wurde. Durch Großeinkäufe und Verhandlungen mit ortsansässigen Metzgern und Bäckern konnte die Genossenschaft ihren Mitgliedern preiswert Lebensmittel anbieten. Die Kohlenkasse hatte unter ihrem Vorsitzenden Michael Deller 1906 erst 86 Mitglieder. 1916 waren es 220, und der Umsatz betrug 8.400 Mark = 4.800 Zentner Kohlen und Briketts. Größte Selbsthilfeorganisation Urberachs war 1910 der Sanitätsverein mit 343 Versicherten. Er übernahm Kosten, die den Mitgliedern durch Krankheit entstanden, und verhandelte mit Ärzten über Honorare. Apotheker-Rechnungen machten den größten Teil der Ausgaben aus, weshalb die Sozialdemokraten auch die Kommunalisierung der Apotheken forderten. Der Sanitätsverein bestand neben der Ortskrankenkasse: das Selbstbewußtsein der Arbeiter-Organisationen war durch ihre vielfältigen Aktivitäten so gewachsen, dass sie die Bevormundung durch den ihnen verhassten Staat ablehnten. Die sozialdemokratische Partei befand sich nach den Reichstagswahlen weiter im Aufwind. Ihre Mitgliederzahl wuchs 1912 auf 186. Auch konnte sie viele ihrer Vorstellungen im Gemeinderat durchsetzen, wie die Abschaffung des Akkordlohns bei Gemeindearbeitern und eine verbesserte Versorgung durch Ausbau des Gaswerks Ober Roden.
Der erste Sozialdemokrat im Kreistag Dieburg
Die Kreistage im Großherzogtum Hessen waren keine demokratisch gewählten Parlamente. Entsprechend der Kreisordnung von 1874 setzten sie sich zusammen aus einem Drittel der 50 Höchstbesteuerten und zwei Dritteln der Bevollmächtigten der Gemeindevorstände. Bis 1911 hatte der Kreistag Dieburg 18 Mitglieder. Die 50 Höchstbesteuerten wählten 6 Mitglieder. Unter diesen 50 befanden sich auch vier aus Urberach mit Namen Bloch, die Besitzer der Firma Bloch und Hirsch, sowie die Firma selbst, die ebenfalls wählen konnte. Ab 1911 umfasste der Kreistag Dieburg 21 Mitglieder. Urberach bildete zusammen mit Ober Roden, Messenhausen, Eppertshausen und Nieder Roden den 2. Wahlbezirk. Die Wahlzeit der Mitglieder betrug sechs Jahre. Nach den ersten drei Jahren, also 1913, musste die Hälfte ausscheiden. Da Altbürgermeister Lötz in der Zwischenzeit gestorben war, wurde im 2. Bezirk neu gewählt. Das Wahlergebnis: Mit Ludwig Rink zog zum ersten Mal ein Sozialdemokrat in den Kreistag Dieburg ein. Sein erster Antrag, der am 9. Juli 1914 mit allen Stimmen, außer seiner eigenen, abgelehnt wurde, forderte die Gründung eines Fonds zum Bau eines Kreiskrankenhauses. Während des Krieges kam das politische Leben nahezu zum Erliegen. Die sozialdemokratische Partei war in Urberach innerhalb von knapp zwanzig Jahren zur politisch stärksten Kraft geworden. Die Arbeiterbewegung hatte sich zahlreiche gut funktionierende Organisationen geschaffen, die halfen, ihren Kampf um gerechte Teilhabe an den produzierten Gütern, ihre politische Emanzipation und die gleichberechtigte Teilhabe am öffentlichen Leben zu bestehen. Diese dynamische Entwicklung wurde auch in Urberach durch den 1. Weltkrieg gestoppt. Sie sollte sich in dieser Form nicht mehr wiederholen.
1915-1918: Spaltung der Partei und Neuaufbau nach dem Kriegsende
Die Spaltung der Partei im Wahlkreis
Der 1. Weltkrieg mit Belagerungszustand und Pressezensur brachte die Diskussion und Meinungsbildung innerhalb der Partei auf Wahlkreisebene fast völlig zum Erliegen. Viele Ortsvereine stellten ihre Arbeit ein oder mussten sie einstellen, weil alle Mitglieder im Krieg waren. Die Mitgliederzahl des Ortsvereins sank bis zum Ende des Jahres 1915 auf 36. Der langjährige Vorsitzende Ludwig Rink musste mit vielen anderen in den Krieg und konnte sich daher im Ortsverein nicht mehr engagieren. Sein Nachfolger wurde Adam Nostadt, 2. Vorsitzender wurde Reinhard Jans, Kassierer blieb Adam Wolfenstädter. Die Partei bildete zusammen mit der Metallarbeiter-Gewerkschaft am Ort eine Organisation. Die Gemeinderatsarbeit war ab Kriegsbeginn immer stärker durch die Lebensmittel-Versorgung bestimmt, die für alle nicht bäuerlichen Einwohner immer prekärer wurde. Im Gemeinderat hatte die Partei ihre Mehrheit verloren. Ob dies durch die Gemeinderats-Wahlen von 1913, durch das Einrücken von Gemeinderäten oder durch Parteiaustritte erfolgte, lässt sich nicht feststellen. Zur ersten Wahlkreiskonferenz im Krieg am 2. Mai 1916 in Dieburg waren gerade noch 5 Ortsvereine aus dem Kreis Dieburg vertreten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich schon die SPD-Reichstagsfraktion gespalten, der im Laufe des Jahres auch die Spaltung der Partei folgte. Auch Urberachs SPD war stark betroffen. Im Juli 1915 schrieb Ludwig Rink in einem „Brief aus dem Felde“, dass sie das Recht als Sozialisten hätten, ihr Vaterland zu verteidigen. Auch eine Mitgliederversammlung am 6. Januar 1916 setzte sich mit den „Abweichlern“ in der Reichstagsfraktion auseinander. Sie protestierte gegen die „zersetzenden, ungehobelten Parteispaltungs-Probleme des Genossen Rühle“ (er war der erste, der mit Karl Liebknecht zusammen Kriegskredite im Reichstag ablehnte), da gerade jetzt und nach dem Kriege Einheit und Geschlossenheit notwendiger denn je sei. Am 1. April 1917, wenige Tage vor Gründung der USPD, versammelten sich die Delegierten des Wahlkreises in Offenbach zu ihrer zweiten Konferenz nach Kriegsbeginn. Einziges Thema: die Parteispaltung. Zwölf Redner sprachen zu Kriegspolitik, Landes- Verteidigung und Kredit-Bewilligung, vor allem aber zur Frage der Parteidisziplin. Die war für die Sozialdemokraten nicht nur eine formale Frage, sondern berührte wesentliche Elemente sozialdemokratischen Selbstverständnisses. Eine Resolution, die Disziplin forderte und der Opposition in der Partei den Ausschluss ankündigte, wurde beschlossen. Für erledigt erklärt wurde ein Antrag aus Mühlheim, Einigungs-Verhandlungen einzuleiten. Damit war im Kreis die Spaltung besiegelt. Am gleichen Tage noch traf sich die Partei-Opposition zur Gründung einer Gegen-Organisation im Wahlkreis.
Die Spaltung in Urberach
Jetzt begann der Kampf in den Ortsvereinen, welcher Organisation man sich anschließen solle. Die Urberacher beschäftigten sich damit am 6. Mai 1917. Adam Lang berichtete von der Kreiskonferenz und appelierte an die Versammlung, die Geschlossenheit der Partei zu wahren. Anschließend ergriff Ludwig Rink das Wort und erklärte, dass er die Beschlüsse der Kreiskonderenz nicht billigen könnte. Er sei lange der Ansicht gewesen, daß die Partei einig bleiben müsse. Heute sei die Spaltung eine Notwendigkeit geworden. Die Parteimehrheit ginge zu weit nach rechts. Es sei wichtig, … einen linken Flügel zu bilden. Er forderte am Schluss eine Beitragssperre gegen den Parteivorstand. Lang erwiderte, dass man es dem Genossen Rink nachfühlen könne, wenn er, der den Krieg bis jetzt mit seinen ganzen Begleit-Erscheinungen durchkosten musste, nun extreme Ansichten propagiere. Lang besprach eingehend alle von Rink aufgeworfenen Thesen und verurteilte die Beitragssperre, da man mit der Beitragssperre die Partei zu Grabe trage. Die Presse berichtete, dass die Urberacher Genossen von der angeregten Beitragssperre nichts wissen wollten. Auch der Genosse Rink revidierte, nach Presseberichten zu urteilen, seine Anschauungen in diese Richtung. In Urberach wurde die Notwendigkeit der Partei-Geschlossenheit anerkannt. Man beschloss, dass jeder Genosse weiter im Rahmen der Partei seine Anschauungen propagieren könne. Gründungen von Sonder-Organisationen seien aber unmöglich und bedingen den Ausschluss aus der Partei. Die Einigkeit, die diese Berichterstattung erwarten ließ, währte nicht lange. Mindestens ab Januar 1919 gab es in Urberach eine starke Gruppe der USPD, die bei den Wahlen die Mehrheits-Sozialdemokraten sogar übertraf.
Neuaufbau nach Kriegsende
Anfang 1918 hatte die SPD in Urberach gerade noch 26 Mitglieder, andere Ortsvereine im Wahlkreis hatten ganz aufgehört zu bestehen. Angesichts der Versorgungs-Schwierigkeiten, unter denen besonders die litten, die nicht über eigene Nahrungsmittel-Produktion verfügten, lag das Hauptgewicht kommunalpolitischer Aktivitäten in der Versorgung mit Kartoffeln und Brot. Diese seit 1916 immer drängender werdende Aufgabe beherrschte die Gemeinderats-Sitzungen der folgenden Jahre. Die Abdankung des Kaisers, das Kriegsende, die Revolution und die Ausrufung der Republik am 9. November 1918 führten nicht zu Auseinandersetzungen in unserem Bereich. Es war wohl eher ein Hineingleiten in die Republik. Auf Antrag von Adam Lang beschloss der Gemeinderat: „Die Errungenschaften der Revolution erkennt der Gemeinderat an und verpflichtet sich, im Rahmen dieser weiterzuarbeiten“. Urberachs durch die Spaltung dezimierte Partei machte sich an den Neuanfang. Im Februar 1919 wählte sie einen neuen Vorstand. Vorsitzender wurde Adam Wolfenstädter, sein Stellvertreter Balthasar Löbig, Kassierer Mathäus Frank, Schriftführer Michael Frank, Beisitzer Adam Lang, Georg Sturm, Adam Nostadt, Karl Deller und Martin Lötz. Die Mitgliederzahl war wieder auf 51 gestiegen. Während zu Beginn des Jahres 1919 vielerorts Räte-Republiken entstanden, löste sich der Volksrat für die Republik Hessen am 30. Januar selbst auf. Er vereinbarte mit der Staatsregierung, dass die bestehenden örtlichen Volksräte bis zur demokratischen Neugestaltung der kommunalen Körperschaften weiterbestehen sollten. Der Arbeiter- und Bauernrat, der in Urberach bestand, löste sich allerdings schon vor der Kommunalwahl auf, da er „nicht allzuviel bewegen konnte“. Der Gemeinderat tagte weiter. Er hatte zwei Hauptprobleme zu bewältigen: Zum einen die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, und zum zweiten, Maßnahmen gegen die große Wohnungsnot zu treffen. Der Bau eines Gemeindehauses und von Arbeiterwohnungen durch die Sparkasse mit Hilfe der Gemeinde waren die Folge. Über die Versorgung mit Lebensmitteln kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Bauernschaft. Sie wurden erst beendet durch eine Vereinbarung der Hessischen Regierung mit den Bauernverbänden, die die Bauern verpflichtete, von jedem Morgen Kartoffelland 10 Zentner Kartoffeln an die Gemeinden zu verkaufen. Diese Vereinbarung wurde aber nicht immer eingehalten. Auch für die Versorgung mit Brot hatte die Gemeinde Vorsorge zu treffen, indem sie frühzeitig mit Händlern über die Lieferung von Mehl verhandelte. Durch die noch praktizierte Zwangswirtschaft in Folge des Krieges wurde das Mehl oft durch Zusatz von Hafermehl oder Ähnlichem gestreckt. Beschwerden über mangelnde Brotqualität waren an der Tagesordnung. Auch über die Zuteilung von Lebensmitteln an Kranke und Alte kam es im Gemeinderat des öfteren zu heftigen Polemiken. Am meisten unter der schlechten Ernährung hatten neben Alten und Kranken die Kinder zu leiden. Von 419 Schulkindern in Urberach waren 1921 bei einer Untersuchung 208 krank. Unterernährung, Rachitis und Tuberkulose waren die häufigsten Ursachen. Mit kostenlosem Schulfrühstück, einer alten Forderung der Sozialdemokraten, wollte man gegensteuern. Mit einer weiteren Forderung nach einem Walderholungsheim für Kinder konnten sich die Sozialdemokraten allerdings nicht durchsetzen.
1919-1925: Nachkriegszeit und Neuorganisation
Republikanische Neuorganisation
Die Neuorganisation des politischen Lebens nach der Revolution begann 1919 auf allen Ebenen. Die Urberacher mussten in diesem Jahr sechs mal zur Wahlurne gehen. Den Anfang machten die Wahlen zur Nationalversammlung am 10. Januar 1919, also gerade zwei Monate nach Ausrufung der Republik. Zum ersten mal durften auch Frauen wählen. Wahlberechtigt waren nun auch alle Zwanzigjährigen. In Urberach standen dem katholischen Zentrum diesmal zwei sozialistische Parteien gegenüber. Die Mehrheits-Sozialdemokraten waren von beiden noch die stärkeren. Am 26. Januar folgten die Wahlen zur verfassungsgebenden Volkskammer Hessen. Zum ersten mal waren die sozialistischen Parteien gemeinsam stärker als das Zentrum. In der Hessischen Volkskammer hatte die SPD knapp die absolute Mehrheit verpasst. Einer der 31 SPD-Abgeordneten von 70 war der Urberacher Sozialdemokrat Adam Lang. Auch zu den Kommunalwahlen im Juni und Juli traten zwei „rote“ Parteien an. Die zunehmende Radikalisierung der Arbeiterschaft und/oder das hohe Ansehen der örtlichen USP-Führer ließen die USP bei den Gemeinderats-Wahlen zur zweitstärksten Kraft in Urberach werden. Das neue Verhältnis-Wahlrecht ergab sechs Sitze für das Zentrum und je drei für USP und MSPD. Für die USP wurden gewählt: Ludwig Rink, Michael Peter Seib, Karl Reinhard Jans; für die MSPD: Karl Deller, Johann Heinrich Groh, Peter Groh 12. Da Groh verzichtete, rückte Wolfenstädter nach. Da sowohl Bürgermeister als auch Beigeordneter Stimmrecht im Gemeinderat hatten, mussten die folgenden Bürgermeister- und Beigeordneten-Wahlen die Entscheidung über die Mehrheits-Verhältnisse im künftigen Gemeinderat bringen. Die Bürgermeister-Wahl am 22.6.1919 gewann der Zentrums-Kandidat Adam Wagner, der schon 1911 für dieses Amt kandidiert hatte. Er erhielt 655 Stimmen. Der bisherige Amtsinhaber, Georg Neidhardt wurde von der MSPD unterstützt und erhielt 239 Stimmen, der USP-Kandidat, Martin Lötz, 282 Stimmen. Die Beigeordneten-Wahl am 6. Juli gewann der bisherige Beigeordnete Valentin Reiß II. sicher gegen Mathäus Spamer. Bei einer niedrigen Wahlbeteiligung bei den Kreistags-Wahlen am 24. 8. 1919 wurde das Zentrum stärkste Partei, beide sozialistischen Parteien aber hatten eine Mehrheit. Diesmal lag die USP deutlich vor der MSPD. Ludwig Rink zog, wie 1914, in den Kreistag ein, diesmal für die USP. Damit war die Serie von Wahlen 1919 beendet. Die Sozialdemokraten in Urberach hatten schwere Niederlagen einstecken müssen. Aber auch die Arbeiterbewegung insgesamt hatte verloren. Es war nicht gelungen, die Zentrums-Mehrheit im Ort zu verhindern. Die Spaltung der Arbeiterbewegung hatte sich vertieft, doch die Gräben sollten noch weiter aufgerissen werden.
Radikalisierung der Arbeiterschaft 1919/1920
Die revolutionären Ereignisse im Reich Anfang 1920 bewegten auch die Mitgliedschaft in Urberach. Die Hoffnung vieler Arbeiter auf eine starke Interessenvertretung durch Sicherung der Rechte der entstandenen Arbeiter- und Soldatenräte erfüllte sich nicht. Das neue Betriebsräte-Gesetz verpflichtete die Räte auf die „Erfüllung des Betriebszweckes“. Eine revolutionäre Umgestaltung der Wirtschaft war damit nicht mehr möglich. Deshalb demonstrierten am 13. Januar 1920 viele Arbeiter vor dem Reichstagsgebäude. Die Sicherheits-Polizei schoß in die Menge: 42 Tote, 105 Verletzte. Dies führte zu einer weiteren Radikalisierung der Arbeiterschaft. Den Mehrheits-Sozialdemokraten in der Regierung lastete man die Toten an. Das Offenbacher Abendblatt berichtet über eine Mitgliederversammlung in Urberach: „Die Genossen Sturm, Schwarzkopf, Lötz, Frank und Örter und andere Genossen erklärten mit Nachdruck, dass es so in der Partei nicht weitergehen könne. Sie verurteilten scharf das laxe Verhalten der Reichsregierung, indem diese die Erschießung von Arbeitern nicht verhindere, während die Rädelsführer des Berliner Putsches (gemeint ist der Kapp-Putsch) in alter reaktionärer Weise ungehindert ihr Unwesen weitertreiben. Viele Genossen erklärten offen, daß sie solchen Führern keine Gefolgschaft mehr leisten könnten. Nur dem besonnenen Auftreten der Genossen Lang, Karp und Wolfenstädter ist es zu verdanken, dass der größte Teil der Genossen nicht seinen Austritt erklärte“. Nach Kapp-Putsch und Arbeiter-Aufständen in Ruhrgebiet und Thüringen fand am 6. Juni 1920 die erste Reichstagswahl nach Kriegsende statt. Sie bringt im Reich eine Zunahme der USP auf der Linken und der DNVP und DVP auf der Rechten. Die „Weimarer Koalition“ büßte große Stimmanteile ein. In Urberach wird die USP stärkste Linkspartei. Die SPD büßt nicht nur Wählerstimmen ein. Auch die Mitgliederzahl war weit von dem entfernt, was vor dem Weltkrieg erreicht worden war. Sie schwankte 1920 um die 50 Mitglieder. Kommunalpolitik blieb Grundpfeiler der SPD-Aktivitäten.Die Sicherung elementarer Lebensbedürfnisse war für viele Wähler und Mitglieder der SPD die wichtigste Frage, sei es die Beschaffung von Wohnraum, (bis 1925 richtete die Gemeinde Urberach 60 Wohnungen ein) oder die Sorge für die Erwerbslosen: Immer waren die Sozialdemokraten diejenigen, die drängten.
Die Vereinigung von KPD und SPD
Die Wahlen zum hessischen Landtag 1921 brachten der SPD herbe Verluste gegenüber den Wahlen zur Volkskammer 1919. Sie verlor 7 ihrer 31 Mandate. Für zwei Urberacher bedeutete der Ausgang der Wahl, dass sie in den Landtag einzogen. Adam Lang war auf Platz zehn der Landesliste der SPD plaziert, und Ludwig Rink rückte als Listenführer der KPD in den Landtag ein. Ludwig Rink war mit seinen Anhängern Ende 1920 zur KPD gegangen, die er aber 1922 wieder verließ. Es ist wohl auf seinen Einfluss zurückzuführen, daß die KPD bei den Landtagswahlen am 27. Nov. 1921 in Urberach die stärkste Arbeiterpartei wurde. Die Spaltung der Arbeiterbewegung in Urberach konnte 1922 überwunden werden. Schlichtungsinstanz wurde dabei die Freie Turn- und Sportvereinigung. Sie schuf mit der Einrichtung von Bildungsabenden die Möglichkeit, dass die verfeindeten Brüder sich zumindest wieder zusammensetzten. Über verbundene Listen zur Kommunalwahl 1922 führte der Weg dann zur Auflösung der KPD Anfang des Jahres 1923. Die Vereinigung war umso leichter, als die SPD am Ort z. B. bei Koalitionsfragen im Reich sich für „linke“ Koalitionen und gegen ein Zusammengehen mit bürgerlichen Parteien ausgesprochen hat.
Wahlsieg der vereinigten Arbeiterparteien
Ende 1921 hatte sich die Partei von ihrem Mitglieder-Rückgang zum Teil wieder erholt. Die Mitgliederzahl war auf 83 angewachsen, bis 1926 stieg sie wieder auf 124. Die Gemeinderatswahlen am 19. November 1922 zeigten das Kräfteverhältnis der beiden Arbeiterparteien. Es entfielen auf die einzelnen Listen: Zentrum 462, VSPD 183, KPD 355. Für die VSPD zogen in den Gemeinderat: Adam Wolfenstädter und Mathäus Frank I., für die KPD Ludwig Rink, Karl Reinhard Jans, Wilhelm Rickert III., Michael Frank 7. Beide Parteien waren mit verbundenen Listen angetreten, es fehlten nur 2 Stimmen, um ein Sitzverhältnis von 7:5 zu ihren Gunsten zu erreichen. Bei den gleichzeitig stattfindenden Kreistagswahlen konnte Adam Wolfenstädter über die Liste der VSPD in den Kreistag einziehen.
Der organisatorische Aufbau der Partei
1923 wurde eine neue Organisations-Struktur geschaffen. Die Orte Nieder-Roden, Ober-Roden, Urberach und Eppertshausen wurden zu einem Unterbezirk Ober-Roden zusammengefasst. Erster Vorsitzender wurde Karl Müller aus Ober Roden. Die Unterbezirke übernahmen jetzt mehr und mehr die Aufgabe der politischen Agitation, der Bildung der Funktionäre und der Organisation politischer Arbeit im allgemeinen. Sie führten anschließend an die vierzehntäglichen Unterbezirks-Konferenzen in den einzelnen Orten Werbe-Veranstaltungen durch.
Die Reichstagswahlen von 1924
Die Reichstags-Wahlen im Mai 1924 fanden in einer gespannten politischen Atmosphäre statt. In dieser unruhigen Zeit erzielten die radikalen Parteien immense Gewinne. Die großen Verlierer waren die Sozialdemokraten, die von 186 Reichstagsmandaten 100 einbüßten. In einer relativ „ruhigen“ Zeit, im Dezember 1924, wurde neu gewählt. Die Sozialdemokraten gewinnen 31 neue Mandate hinzu, während die Radikalen starke Verluste hinnehmen müssen. In Urberach behauptet sich das Zentrum weiterhin stark, während die SPD einen Teil der Arbeiterstimmen nicht zurückgewinnen kann.
Niederlage bei Kommunalwahlen 1925
1925 werden neue Kommunal-Parlamente gewählt. Ebenso stehen die Wahlen des Bürgermeisters und des Beigeordneten an. Den Anfang macht im Juli die Bürgermeister-Wahl. Trotz heftiger Vorwürfe der Sozialdemokraten gegen den bisherigen Amtsinhaber Adam Wagner wird dieser wiedergewählt. Der langjährige Vorsitzende der SPD, Adam Wolfenstäder, hatte die Partei vor der Wahl verlassen und Adam Wagners Kandidatur unterstützt. Der Beigeordnete Valentin Reiß wird ohne Gegenkandidat bestätigt. Mit diesem Aufwind erreicht das Zentrum bei der Gemeinderats-Wahl am 15. November 1925 mit 7:5 das erste mal seit 1902 wieder eine Mehrheit. Für die Sozialdemokraten ziehen ins Parlament ein: Wilhelm Rickert, Karl Reinhard Jans, Ludwig Rink, Michael Frank 7., Adam Lang. Der neue Kreistag wählt 1926 Ludwig Rink in den Kreisausschuss.
1926-1929: Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse
Volksbegehren für Enteignung der Fürstenhäuser
Während der Revolution wurden die Vermögen der Fürstenhäuser beschlagnahmt. Seit die wirtschaftlichen Verhältnisse sich stabilisiert hatten, erhoben die alten Dynastien Forderungen nach Entschädigung. Bei entsprechenden Gerichtsverfahren verhalfen monarchistisch gesinnte Richter den Herrscherhäusern fast immer zu ihren Ansprüchen. SPD und KPD versuchten mit Hilfe eines Volksentscheids 1926, eine entschädigungslose Enteignung durchzusetzen. Am 20. Juni nehmen 15,6 Millionen Wähler an dem Volksentscheid teil. 14,5 Millionen stimmen mit ja, also für die Enteignung. Doch dies war zu wenig, um die Enteignung Gesetz werden zu lassen. In Urberach fand die Enteignung mit fast 70 % der Stimmberechtigten eine deutliche Mehrheit.
Die Partei in den Jahren 1926/1927
Die Partei hatte sich in den Jahren nach der Währungsreform weiter konsolidiert. Zu Beginn des Jahres 1926 wurden die Unterbezirke Dieburg und Ober-Roden endgültig getrennt. Neuer Vorsitzender des Unterbezirks Ober-Roden wurde Ludwig Rink. Die Partei im Unterbezirk verstärkte ihre Agitation durch regelmäßige Versammlungen in den einzelnen Orten zusätzlich zu den monatlichen Mitgliederversammlungen durch Werbeveranstaltungen, die sich hauptsächlich an die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter wendeten. Die Partei trat mit Anträgen zu verschiedenen Parteitagen für folgende Positionen ein: Ausbau des Betriebsräte-Systems, um die Macht des Industriekapitals zu beschneiden, 40-Stundenwoche und Abbau von Überstunden, um die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmen statt Erwerbslosenfürsorge. Dafür sollten den Gemeinden zinslose Darlehen zur Verfügung gestellt werden. Die Verbesserung der Lage der Erwerbslosen war auch in der Kommunalpolitik immer ein aktuelles Thema geblieben. Neben den direkten Geld- und Sachleistungen spielte die Frage nach der „produktiven Erwerbslosenhilfe“ immer die größte Rolle. Zu diesem Zweck wurden in der Gemeinde zahlreiche Straßenbau-Vorhaben in Angriff genommen. Zeitweise waren fast 20% der Erwerbslosen des Kreises in solchen Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmen beschäftigt.
Die SPD im Gemeinderat 1925-1929
Die SPD, im Gemeinderat seit 1925 in der Minderheit, konnte trotzdem einige ihrer Anliegen durchsetzen. Die Beschaffung von Notstands-Arbeiten, z. B. der Bau der Straße nach Messenhausen, ging auf Initiativen der Sozialdemokraten zurück. Lernmittelfreiheit und Schulspeisungen waren ebenfalls Anregungen der SPD-Fraktion. Während das Zentrum, so der Fraktionsvorsitzende Jans in einer Mitgliederversammlung, den Vorschlägen des Bürgermeisters immer zustimmte, waren es die Sozialdemokraten, die sich immer intensiv und kritisch mit den Vorlagen der Verwaltung beschäftigten. In der Schaffung neuen Wohnraums hätte man sich aber nicht durchsetzen können. Dass selbst die Zentrums-Wähler mit den Zuständen im Rathaus nicht einverstanden seien, zeigt die Teilnahme einer „Bürgerpartei“ an den Gemeinderats-Wahlen. Die Sozialdemokraten, die „zur Linderung der sozialen Not Aufbauarbeit im besten Sinne des Wortes“ geleistet hatten, waren siegessicher. Bei den Wahlen am 17. November konnte die SPD ihre fünf Sitze halten. Die Bürgerpartei schaffte auf Anhieb zwei Sitze im Gemeinderat. Das Zentrum verlor zwei Sitze. Für die Sozialdemokraten zogen in den Gemeinderat: Wilhelm Rickert, Karl Reinhard Jans, Ludwig Rink, Michael Frank VII. und Franz Sulzmann. Bei den Kreistags-Wahlen am selben Tag erreichten die Sozialdemokraten etwa das gleiche Ergebnis. Ludwig Rink blieb Kreisausschuss-Mitglied.
Der Kampf für die Erwerbslosen
Nach dem Schwarzen Freitag an der New Yorker Börse im Oktober 1929 wurde die gesamte westliche Welt von einer Wirtschaftskrise bisher nicht gekannten Ausmaßes betroffen. Die Arbeitsloskeit schnellte in die Höhe. Das Los der Arbeitslosen zu mildern war eines der Hauptanliegen der Sozialdemokraten in der Folgezeit – im Reich durch die Erhaltung der Sozial-Gesetzgebung, in den Gemeinden durch produktive Erwerbslosen-Fürsorge und Ausbau der Geldleistungen für Ausgesteuerte, Rentner und Kriegsinvaliden. Durch Notverordnungen finanziell in Bedrängnis, waren die Gemeinden jedoch kaum noch in der Lage, der sozialen Not wirksam entgegen treten zu können. Als im Winter 1930 die Not zum ersten mal akut wurde, setzten die Sozialdemokraten im Hessischen Landtag ein Arbeitsbeschaffungs-Programm durch, das trotz der geringen wirtschaftlichen Stärke des Volksstaats Hessen immerhin 7500 Wohlfahrts-Empfängern ein halbes Jahr Arbeit gab. Auf Vorschlag Ludwig Rinks stellte der Kreis Dieburg den Gemeinden einen Zinszuschuß zur Aufnahme von Krediten zur Verfügung. Mit den Krediten sollten Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmen finanziert werden. Bedingung für die Gemeinden war, dass sie ausschließlich Erwerbslose beschäftigen mussten, oder dass, wenn ein Auftrag an einen Unternehmer vergeben wurde, dieser außer den nötigen Facharbeitern ebenfalls ausschließlich Erwerbslose beschäftigte. Trotz dieser Maßnahmen waren im Winter 1931 321 Urberacher (von ca. 2500) auf Winterbeihilfe, eine Wohlfahrts-Unterstützung, angewiesen. Weil für viele das Einkommen zur Deckung des täglichen Bedarfs nicht mehr ausreichte, verhandelte die Erwerbslosen-Kommission zusammen mit den Gewerkschaften auch mit den hier ansässigen Geschäftsleuten, mit dem Ziel, eine Preissenkung bei Nahrungsmitteln zu erreichen. In einer Sitzung einigte man sich nach langem Hin und Her auf Preisabschläge bis zu 17 %. Die Geschäftsleute verpflichteten sich, weiterhin jede Preissenkung beim Einkauf an die Verbraucher weiterzugeben. Die Gemeinde, die die Höhe der Winterbeihilfe selbst festsetzen konnte, verlangte von den Empfängern, dass sie als Gegenleistung in der Gemeinde arbeiteten. In zum Teil hitzigen Auseinandersetzungen im Gemeinderat, bei denen auch die Zuschauer durch Zurufe in die Debatte eingriffen, setzte dies das Zentrum gegen die Sozialdemokraten durch. Da die Arbeitslosigkeit in den beiden folgenden Jahren noch weiter anstieg, stellte die Gemeinde Urberach 1931 für die Winter 75.000 Mark zur Beschäftigung von Arbeitslosen in den Haushalt ein. Weitere Notverordnungen kürzten die Unterstützungs-Sätze und verlängerten die Wartezeit für den Empfang von Arbeitslosen-Unterstützung. Daher konnte nur noch ein Teil der Ausgesteuerten durch die Gemeinde beschäftigt werden. 1932 wurden die Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmen ganz eingestellt, da das Kreisamt der Gemeinde verbot, weiterhin Notstandsarbeiten auszuführen.
1930-1933: Die Krise der Republik
Reichstagswahl 1930
Im März 1930 tritt die Regierung des sozialdemokratischen Reichskanzlers Müller zurück, weil sich die Koalitionäre nicht über die Finanzierung der Arbeitslosenversicherung einigen können. Das neue Kabinett Brüning legt einen Sanierungsplan für die Staatsfinanzen vor, der im Reichstag keine Mehrheit findet. Daraufhin wird der Reichstag aufgelöst und durch eine Notverordnung ein wesentlich radikaleres Sanierungsprogramm durchgesetzt. Am 14. September 1930 wird ein neuer Reichstag gewählt. In Urberach nimmt der Stimmanteil der SPD zur letzten Reichstagswahl zu, der der Kommunisten ab. Die Nationalsozialisten gewinnen bei einer stärkeren Wahlbeteiligung als 1928 105 (=7 %) Stimmen. Urberachs demokratisches Lager bleibt stabil. DNVP, NSDAP und KPD bringen im Reichstag sofort Misstrauensanträge gegen die Regierung Brüning ein, die diese nur übersteht, weil die Sozialdemokraten keine Alternative mehr sehen und in der Folge die Politik des Reichskanzlers Brüning tolerieren, auch wenn diese in vielen Punkten der Auffassung der Sozialdemokraten konträr gegenübersteht. Gegen die Extreme von links und rechts sehen die Sozialdemokraten ihre Aufgabe darin, „den Staat in seiner Verfassung zu halten und zu verbessern“. Auch Ludwig Rink hatte sich um einen Platz im Reichstag beworben. Auf einer Kreiskonferenz kam es um die Kandidatur zu einer Stichwahl zwischen ihm und dem gebürtigen Ober Röder Wilhelm Weber, mit dem er schon vor 1914 des öfteren politische Kontroversen ausgetragen hatte. Das Ergebnis der Kreiskonferenz war bei Stimmengleichheit die Empfehlung, beide Vorschläge der Landeskonferenz vorzulegen. Dort setzte sich Wilhelm Weber dann durch. Die Tolerierungspolitik der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion gegenüber der Regierung Brüning fand in Urberach nicht immer ungeteilte Befürworter. Als im Reichstag neun Abgeordnete nicht mit der Fraktion, sondern gegen die Regierungsvorlage zum Wehretat stimmten, stellten sich die Urberacher öffentlich hinter diese „Abweichler“.
Erstmals Nazis in Urberach
Die Nationalsozialisten traten in Urberach erstmals im Dezember 1930 auf. Das Offenbacher Abendblatt berichtete: „Mehrfache Ankündigungen der Nazis wiesen hin, dass hier eine Ortsgruppe gegründet werden sollte. Am letzten Sonntag hat sich leider ein hiesiger Wirt gefunden, der diesen Volksbeglückern seinen Saal zur Verfügung stellte. Urberach, das fast ganz aus Republikanern zusammengesetzt, wird diesem Saalbesitzer „Gasthaus Zur Krone“, Mickler, die Antwort nicht schuldig bleiben und in Zukunft dieses Lokal meiden. Die Versammlung wurde von einem abgetakelten Lehrer der sich sogar ein Urberacher nannte, geleitet. Zur Verstärkung hatte man ungefähr 25 Nazijüngelchen, die reinsten Milchgesichter, von auswärts herbeigezogen. Die große Mehrheit bildete die Urberacher Arbeiterschaft. Einige Nazibäuerlein fehlten natürlich nicht… Das Schlußwort des Referenten ging unter in Zwischenrufen und größter Unruhe der Versammlungsteilnehmer. Hoffentlich haben die Anhänger des 3. Reiches sowie die hierorts mit ihnen Liebäugelnden daraus ersehen, daß Urberach für sie kein Boden ist. An der Urberacher Arbeiterschaft liegt es, sich jetzt umso fester gegen dieses faschistische Treiben zusammenzuschließen in der einzigen und größten Arbeiterpartei, der Sozialdemokratischen Partei“.
Die Endphase der Weimarer Republik
Nach dem Rücktritt des Kabinetts Brüning am 30. Mai 1932 beauftragte Hindenburg von Papen mit der Regierungsbildung. Dem Sturz Brünings waren wochenlange Verhandlungen zwischen Reichswehr, NSDAP und Vertretern der Schwerindustrie vorangegangen. Die Konservativen hofften, Hitler in ihre Politik einbinden zu können. Dafür hob von Papen das Verbot der SA auf und löste den Reichstag auf. Die Neuwahl am 31. Juli 1932 brachte den Nazis einen großen Erfolg. Sie eroberten 37,4 % der Stimmen und 230 Reichstagssitze. Neben den Nationalsozialisten hatten als bedeutende Parteien nur noch SPD, KPD, die katholischen Parteien Zentrum und BVP sowie die DNVP diese Wahl überlebt. Die Regierung Papen war im Reichstag ohne Mehrheit. Ihr wird am 12. September das Misstrauen ausgesprochen. Bei der zweiten Reichstagswahl diesen Jahres am 6. November büßen die Nationalsozialisten 2 Millionen Wähler ein und verlieren 34 Reichstagssitze. KPD und DNVP nehmen leicht zu. Die Reichstagswahl vom November brachte für Urberachs SPD den Verlust von 97 Stimmen gegenüber der Wahl vom Juli (= 20 %). Das Zentrum und die KPD gewannen deutlich dazu. Die Nationalsozialisten erreichten nur noch 10,5 %. Ludwig Rink führte das schlechte Wahlergebnis auf unzureichende Agitation zurück. Auf einer Unterbezirkskonferenz in Ober Roden im November 1932 machte er die allgemein verzweifelte Lage der Arbeiterschaft für die Gewinne der KPD verantwortlich. Er betonte, dass sich die Arbeiterschaft für die Zukunft auf gewaltige Kämpfe einzustellen habe, und dass dazu alle Kräfte zusammengefasst werden müssten. Insbesondere die Jugend müsse mehr Interesse an der Bewegung entwickeln, denn wenn man Sport treiben möchte, sei die Voraussetzung dazu, dass man auch die Zeit dazu habe. Dies sei aber nicht gegeben, wenn die Feinde der Arbeiterklasse das Heft in den Fingern hätten. In der anschließenden Diskussion wurde vor allem die „Überorganisation“ kritisiert, mit der jetzt Schluss sein müsse.
Gegen Ende der Weimarer Republik intensivierten die in der Eisernen Front zusammen geschlossenen republikanisch-sozialistischen Organisationen ihre Agitation. Großkundgebungen in den Orten des Unterbezirks Ober Roden wurden gemeinsam organisiert und durchgeführt. 1000 und mehr Menschen nahmen an solchen Demonstrationen teil. Exemplarisch sei hier der Ablauf einer Kundgebung am 12. Februar 1933 beschrieben: Sonntagnachmittag 2 Uhr: Treffen aller verfügbaren Kräfte (Motorradfahrer, Radfahrer und Marschkolonnen), in Urberach Aufmarsch, Umzug und Kundgebung, anschließend geschlossen nach Ober Roden, danach bis Nieder Roden, dort wieder Umzug und Abschluss-Kundgebung um 16.30 Uhr.
1933-1945: Die Nazi-Zeit
Die Nazis bauen ihre Macht aus
Die Nazis, die vor 1933 öffentlich in Urberach fast nicht in Erscheinung traten, es sei denn mit Verstärkung aus dem Odenwald, fassten zunächst auch nach der Machtergreifung nicht Fuß, auch wenn sie sich durch spektakuläre Auftritte, z. B. Fahnenweihe in der Kirche, positiv darzustellen versuchten. Nachdem Hindenburg Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt hatte, ging die NSDAP planmäßig an die Zerschlagung der demokratischen Ordnung. Trotz brutaler Gewaltanwendung versuchte sie, jetzt im Besitz der staatlichen Machtmittel, den legalen Anschein zu wahren. Gestützt auf die Möglichkeit der Notverordnungen, wurde nach dem Reichtstagsbrand am 27. Februar zunächst die KPD verboten und ihre Führer verhaftet. Die Reichstagswahlen vom 5. März brachten den Nazis trotzdem nicht die erhoffte große Zustimmung in der Bevölkerung. Im Reich erreichten sie 44 % der Stimmen, in Hessen 47,5 %. Urberachs Parteienstruktur blieb stabil. Die KPD bekam trotz Verbot noch 15,4 %; die SPD 26,9 %; das Zentrum 40,9 %; die Nationalsozialisten konnten ihren Anteil auf 16,5 % vergrößern. Am Tag nach der Wahl verschärfte sich der Terror.
Die Auflösung der Arbeiterorganisationen
Durch die Ernennung eines Reichskommissars für die Polizeigewalt in Hessen und die Entlassung der als unzuverlässig eingestuften Polizeioffiziere wurden zunächst die administrativen Voraussetzungen für die Zerschlagung der Opposition geschaffen. Am 7. März wies das Landespolizeiamt die Kreisämter an, „bei den Organisationen der SPD, des Reichsbanners und der entsprechenden Verbände Durchsuchungen mit allem Nachdruck durchzuführen“. Eine Woche später, am 14. 3. 1933, einen Tag nachdem NSDAP, DNVP, DVP und das Zentrum einen Nationalsozialisten zum Hessischen Staatspräsidenten gewählt hatten, meldete die Landesgendarmerie-Station Ober Roden an das Kreisamt, dass sie bei folgenden Personen Hausdurchsuchungen vorgenommen habe: Ludwig Rink, Wirtschaft Schwarz (Parteilokal), Valentin Sulzmann (Vorsitzender des Ortsvereins), Franz Sulzmann (Vorsitzender der Metall-Gewerkschaft). Beschlagnahmt wurden Bücher, Propagandamaterial, Fähnchen u. ä., außerdem im Konsum eine Schwarz-Rot-Goldene Fahne. Die Haussuchungen wurden, wahrscheinlich zum Zwecke der Einschüchterung, mehrmals wiederholt. Beim Vorsitzenden Valentin Sulzmann erschien Polizei in Begleitung von örtlichen SA-Männern insgesamt siebenmal im Abstand von vier Wochen. Dabei wurde ihm mit Einlieferung ins KZ gedroht, wenn er die Parteifahne nicht ablieferte, was er dann aber tat. Am 16. März verordnete der Staatskommissar die Auflösung der marxistischen Verbände in Hessen, darunter die Eiserne Front und das Reichsbanner. Unter diesen Vorzeichen beriet der Reichstag am 23. März 1933 das sogenannte Ermächtigungsgesetz. Nachdem die demokratische Substanz der bestehenden Organisationen gegen Ende der Weimarer Republik zusehends schwand, waren die Sozialdemokraten „die letzten Verteidiger der geschriebenen Verfassung und des längst abgedankten parlamentarischen Systems“. Trotz des Terrors der Nazis und obwohl noch vor dem Reichstagsgebäude Reichstags-Abgeordnete verhaftet worden waren, stimmten die Sozialdemokraten als einzige Partei gegen die Legalisierung des sich schon deutlich abzeichnenden Staatsterrors. In der Folge wurden alle Organisationen der Arbeiterbewegung verboten, neben der Partei die Sport- und Musikvereine, die Naturfreunde und ähnliche. Ihre Vermögen wurde eingezogen, soweit die Funktionäre die vorhandenen Werte nicht schon beseitigt hatten. Die bürokratische Abwicklung des Vermögenseinzugs zog sich bis in das Jahr 1935 hin. Im Kreis Dieburg konnten nur 1.703 RM sichergestellt werden, davon allerdings 1.223 RM des Volkshausbauvereins in Urberach, der im April 1929 gegründet worden war und in dem alle Arbeitervereine, Gewerkschaften und Arbeiterparteien vertreten waren. Die Arbeiterorganisationen am Ort hatten sich schon im April 1933 selbst aufgelöst, und das Vermögen seit dem 5. März verteilt, wie ihre Führer, Michael Schrod für das Ortskartell und Martin Grosch für die SAJ, bei polizeilichen Vernehmungen zu Protokoll gaben. Führer und Mitglieder der SPD wie anderer Arbeiterorganisationen waren in der folgenden Zeit vielerlei Repressalien ausgesetzt. Unter Polizeiaufsicht standen Ludwig Rink, Franz Sulzmann, Karl Reinhard Jans, Valentin Sulzmann und Michael Frank. Sie mussten sich zweimal täglich auf der Polizeidienststelle melden. Einfache Mitglieder der Partei waren zum Teil ebenfalls verpflichtet, sich einmal täglich zu melden. Im November 1933 fiel diese Meldepflicht für die Mitglieder weg. Parallel dazu wurden die Funktionäre nun im Amtsgericht Dieburg in Schutzhaft genommen und anschließend in das KZ-Außenlager Osthofen gebracht. Darunter befanden sich aus Urberach: Adam Röhrig, Adam Seib VI, Peter Lötz II, Karl Reinhard Jans, Philipp Rebel, Ludwig Rink und Franz Sulzmann. Dies war eine der Maßnahmen, die noch den letzten Widerstand der Bevölkerung brechen sollten. Am 12. November 1933 fanden nämlich „Reichstagswahlen“ statt, um, wie es der Reichspräsident in seiner Verordnung vom 14. Oktober ausdrückte, „dem deutschen Volk Gelegenheit zu bieten, … seiner Verbundenheit mit der Reichsregierung Ausdruck zu geben“. Trotz massiver Propaganda wählten reichsweit 3,4 Millionen Deutsche ungültig. In Urberach waren es 207 Wähler (= 12 %).
Nazis übernehmen das Kommunalparlament
Die Gleichschaltung der Gemeinden wurde mit der Verordnung zur Sicherung der Verwaltung der Gemeinden vom 30. März 1933 eingeleitet, die es erlaubte, missliebige Bürgermeister zu suspendieren. Aufgrund dieser Verordnung wurde der bisherige Bürgermeister Wagner am 8. April durch den Hessischen Innenminister seines Amtes enthoben und an seiner Stelle Peter Ignaz Herdt eingesetzt. Der Beigeordnete Valentin Reiß III. legte sein Amt am 9. Mai nieder. Seine Stelle übernahm der Ortsgruppenleiter der NSDAP, Paul Esser. Der Gemeinderat Urberachs wurde aufgelöst. An seine Stelle sollte ein Gemeinderat treten, der nach dem Ergebnis der Reichstagswahl vom 5. März zusammengesetzt sein sollte. Dazu reichten die Parteien am Ort, die SPD, das Zentrum und die NSDAP im April 1933 Wahlvorschläge ein. Auf dem Wahlvorschlag der SPD standen die Namen: Aloys Georg Rink (=Ludwig), Valentin Sulzmann II., Franz Sulzmann, Michael Schrod, Peter Joseph Gensert, Erwin Müller, Heinrich Rink und Peter Groh XII. Doch schon am 14. Mai zogen die Sozialdemokraten ihre gesamte Liste wieder zurück. Ebenso verfuhren auch die Zentrumskandidaten, worauf der Wahlausschuss die freien Plätze im Gemeinderat der NSDAP übertrug. Diese jedoch hatte Schwierigkeiten, die zwölf Sitze zu besetzen. Wie Bürgermeister Herdt am 26. Februar 1934 dem Kreisamt mitteilte, mangelte es der NSDAP an geeigneten Leuten für den Gemeinderat. Trotzdem wurde der Bürgermeister für die nicht rechtzeitige Bildung des Gemeinderats mit einer Ordnungsstrafe von 10 RM belegt. Der Gemeinderat hatte allerdings keine Befugnisse mehr, da die gesamte Verwaltung nach dem Führerprinzip ausgerichtet wurde, d. h. der Bürgermeister entschied alles, er konnte die Gemeinderäte aber anhören. Die Wählerlisten von 1946 lassen abschätzen, wie stark die NSDAP 1933 tatsächlich war. 1946 lebten in Urberach noch zwei Mitglieder der NSDAP, die vor 1933 eingetreten waren. Von den 1933 eingetretenen waren es noch 53. Insgesamt waren 139 Wähler 1946 Mitglied in der NSDAP oder verwandter Organisationen gewesen. Das heißt, der größte Teil der Mitglieder trat erst nach der Machtergreifung in die Partei ein, was auch ihre Schwierigkeiten bei der Besetzung des Gemeinderats erklärte.
Streiflichter aus dem „3. Reich“
Die gesamte Durchdringung und Organisation des öffentlichen Lebens gelang den Nazis zunächst noch nicht. Als am 19. 8. 1934 in einer „Volksabstimmung“ die Bürger über die Vereinigung des Amtes des Reichspräsidenten mit dem des Reichskanzlers abstimmen sollten, beteiligten sich in Urberach zwar 98,5 % der Bevölkerung, es stimmten aber 13,1 % mit Nein oder wählten ungültig. Solche Ergebnisse sollte es in den folgenden Jahren auch nicht mehr geben. Bei späteren Abstimmungen, auf die die Nazis nicht ganz verzichteten, war die Propaganda nahezu lückenlos. Einzelne Organisationen, z. B. die Feuerwehr, wurden geschlossen in Uniform zur Abstimmung geführt, diejenigen, die noch nicht gewählt hatten, wurden rechtzeitig vor Schluss der Wahllokale von SA-Männern auf die Abstimmung „hingewiesen“. Selbst kleinste Kritik an den Verhältnissen oder Institutionen konnte zu Bestrafungen führen. Ludwig Rink verbüßte 1940 mehrere Monate Haft in Darmstadt wegen Wehrkraftzersetzung. Das Erzählen eines Witzes brachte Johann Georg Beckmann wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz vor den Kadi. Manchmal half den Beschuldigten die Tatsache, dass sich keine Zeugen für die ihnen zur Last gelegten Taten fanden. Das Absingen der „Internationale“, ein Vergehen gegen die Verordnung zum Schutze von Volk und Staat, hatte z. B. kein Gast der Gastwirtschaft Kuhn in Ober-Roden gehört. Für viele SPD-Funktionäre bedeutete der Sieg der Nazis schon 1933 neben Arbeitsplatzverlust auch Verfolgung und Gefangenschaft. Politische Arbeit wurde lebensgefährlich. Nach dem missglückten Attentat vom 20. Juli 1944 wurden viele Funktionäre wiederum verhaftet. Der Urberacher Ludwig Rink und der ehemalige Urberacher Adam Lang, der jetzt in Dieburg wohnte, wurden ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Sie überlebten glücklicherweise. Als nach der Befreiung durch die Alliierten am 24./25. März 1945 demokratische Verhältnisse wieder möglich wurden, gehörten beide in ihren Heimatgemeinden und im Kreis Dieburg zu den „Männern der ersten Stunde“.
Der Neuaufbau 1945/1946
In Urberach bildete sich eine provisorische Gemeindevertretung aus Sozialdemokraten und Kommunisten. Johannes Lang X. übernahm am 25. Juli 1945 als Bürgermeister die Amtsgeschäfte. Beide Maßnahmen waren von den Militärbehörden genehmigt worden. Am 27. Januar 1946, also neun Monate nach Kriegsende, fand in Urberach die erste Kommunalwahl statt. Die SPD hatte eine Liste mit zehn Kandidaten aufgestellt. Es kandidierten Aloys Georg Rink, Karl Reinhard Jans, Adam Spamer, Peter Joseph Gensert, Philipp Rebel, Adam Rickert VIII., Heinrich Schulz, Valentin Sulzmann II., Wilhelm Sulzmann und Martin Hausmann II. Die Wahlbeteiligung betrug 94 %. Von den 1.638 gültigen Stimmen entfielen auf die SPD 666, auf das Zentrum 800 und auf die KPD 168. Ungültig hatten 89 gewählt, 83 durften sich wegen ihres Engagements im „Dritten Reich“ nicht beteiligen. Die Mehrheitsverhältnisse hatten sich gegenüber Weimar verändert. Die beiden Arbeiterparteien waren zusammen wieder stärker als das Zentrum. Trotzdem wurde am 25. 3. 1946 der Kandidat der neugegründeten CDU, Adam Gensert, mit 4 Stimmen des Zentrums gegen 3 Stimmen der Sozialdemokraten zum Bürgermeister gewählt, da die KPD keinen Gemeinderatssitz erhalten hatte. Sein Gegenkandidat war der vorherige Bürgermeister Johannes Lang. Damit hatte die organisierte Arbeiterbewegung zunächst die direkten Einflussmöglichkeiten auf das kommunale Geschehen verloren.
Die SPD Urberach von 1986
Der SPD-Vorstand 1986
(1. Bild) v.l.n.r. hinten: Ulrich Lüdke (Karteif.), Herbert Schrod (Kasse), Eckart Sänger (Schriftf.), Erich Krieger (l.Vors.), Theo Frieß (Stell v. Vors.), Norbert Schultheis (Revisor), Georg Fertig (Beisitzer). Vorn: Gisela Schröder, Dietrich Schoch, Cornelia Diekmann, Heinz Harenberg, Inge Landgraf (alle Beisitzer). Nicht im Bild: Peter Mouque (Pressereferent), Gundula Kerfante (Beis.), Gerhard Weber (Stellv. Vors.), Irmgard Jütten (Beis.), Gerhard Pohl, Werner Weber (Revisoren).
Die SPD-Fraktion 1986
(2. Bild) Stehend: Kurt Krummholz, Ulrich Lüdke (Magistrat), Gisela Schröder (Schriftf.), Erich Krieger, Heinz Erdmann, Heinz Eyßen (Vorsitzender), Karl-Heinz Oberfranz, Bernd Stadler (Magistrat), Cornelia Diekmann, Margarete Kruse. Sitzend: Inge Landgraf, Philipp Seib (Ehrenvorsitzender, nicht in Fraktion) nicht im Bild: Lothar Rickert, Herbert Schrod
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